CO2-Intensität: Ist Deutschland wirklich ein Klimavorreiter?

Deutschland hat das Selbstbild ein Klimavorreiter zu sein. Tatsächlich sind wir nicht annähernd so klimafreundlich wie viele Länder.

Deutschlands Treibhausgasemissionen sinken fast jedes Jahr.

Wir stoßen aber immer noch vielfach so viel CO2-Emissionen pro Energieeinheit aus wie die echten Klimavorreiter.

In Europa hinkt Deutschland bei der CO2-Intensität des Energieverbrauchs abgeschlagen im unteren Drittel hinterher.

Selbst im leicht zu dekarbonisierenden Stromsektor ist Deutschland im unteren Drittel aller europäischen Länder.

Woran liegt es und wer sind die wahren Klimavorreiter?

Treibhausgas-Emissionen in Deutschland 2000 bis 2022

Die jährlichen Treibhausgas-Emissionen in Deutschland sind seit dem Jahr 2000 um rund ein Viertel gefallen, von 1.062 Mio. tCO2eq auf 786 Mio. tCO2eq.1

Diese Reduktion wird manchmal als Beweis angeführt, dass die deutsche Klimapolitik funktioniert: die Emissionen sinken schließlich.

Wer aber die bisherigen Einsparungen auf das Ziel Netto-Null in 2045/2050 extrapoliert, wird feststellen: die CO2-Emissionen sinken VIEL zu langsam.

Von 2000 bis 2022 ist fast die Hälfte der Zeit bis 2045 verstrichen, aber wir konnten nur ein Viertel der CO2-Emissionen vermeiden.

Wir sind also nicht annähernd auf Klimakurs. Wir müssten in der zweiten Halbzeit drei Mal so schnell Emissionen vermeiden, wie in der ersten.

Das wird wohl kaum möglich sein. Klimaschutz wird schwieriger, nicht leichter. Viele der niedrig hängenden Früchte sind ja schon geerntet.

Noch dazu folgt ein großer Teil der bisherigen CO2-Minderung aus der Deindustrialisierung.

Klimaschutz durch Deindustrialisierung?

Die CO2-Minderung seit 2017 entfällt hauptsächlich auf einen Rückgang des deutschen Energieverbrauchs.

In den 6 Jahren bis 2023 schrumpfte dieser um 18%. Vorher war der Energieverbrauch fast konstant geblieben seit 1992! 2

2023 war der Energieverbrauch sogar 8% niedriger als 2020, das Jahr mit dem COVID-19-Lockdown.

Das ist der Primärenergieverbrauch nach Substitutionsmethode, also unter Berücksichtigung von Abwärme-Ineffizienz.

Laut AG Energiebilanzen ist hauptsächlich die deutsche Wachstumsschwäche für diesen Rückgang verantwortlich, sowohl beim Einbruch 2023 als auch beim Rückgang 2024.

Natürlich kann man auch Klimavorreiter durch Degrowth werden. Aber erstens macht das dann kein anderes Land nach und zweitens ist Deutschland trotz der Rezession abgeschlagen im Ländervergleich.

CO2-Intensität des Energieverbrauchs in Europa 2023

Besonders klar wird das Versagen der deutschen Klimapolitik beim Vergleich mit anderen Ländern.

Rund drei Viertel der deutschen CO2-Emissionen werden im Energiesektor frei bei der Verbrennung von meist fossilen Energieträgern.

Bei den CO2-Emissionen pro Energieeinheit in Europa ist Deutschland weit abgeschlagen im unteren Drittel: 3 4

  • 39 gCO2/kWhth: Island
  • 60 gCO2/kWhth: Schweden
  • 61 gCO2/kWhth: Norwegen
  • 95 gCO2/kWhth: Finnland
  • 104 gCO2/kWhth: Schweiz
  • 106 gCO2/kWhth: Frankreich
  • 140 gCO2/kWhth: Österreich
  • 143 gCO2/kWhth: Slowenien
  • 145 gCO2/kWhth: Dänemark
  • 148 gCO2/kWhth: Slowakei
  • 151 gCO2/kWhth: Portugal
  • 155 gCO2/kWhth: Ungarn
  • 157 gCO2/kWhth: Spanien
  • 158 gCO2/kWhth: Kroatien
  • 161 gCO2/kWhth: Belgien
  • 162 gCO2/kWhth: Lettland
  • 164 gCO2/kWhth: Niederlande
  • 169 gCO2/kWhth: Rumänien
  • 170 gCO2/kWhth: Großbritannien
  • 171 gCO2/kWhth: Ukraine
  • 176 gCO2/kWhth: Litauen
  • 178 gCO2/kWhth: Bulgarien
  • 180 gCO2/kWhth: Deutschland
  • 182 gCO2/kWhth: Italien
  • 188 gCO2/kWhth: Irland
  • 195 gCO2/kWhth: Griechenland
  • 196 gCO2/kWhth: Tschechien
  • 220 gCO2/kWhth: Luxemburg
  • 236 gCO2/kWhth: Polen
  • 245 gCO2/kWhth: Nordmazedonien
  • 270 gCO2/kWhth: Estland

Diese sogenannte CO2-Intensität des Energieverbrauchs macht die absoluten CO2-Emissionen von Ländern verschiedener Größe vergleichbar.

Man könnte alternativ auch den CO2-Ausstoß pro Kopf vergleichen, aber das wäre unfair gegenüber Ländern mit signifikanter Industrie, so wie Deutschland.

CO2-Intensität des Stromverbrauchs in Europa 2024

Noch abgeschlagener wirkt Deutschland im am einfachsten zu dekarbonisierenden Stromsektor.

Immer noch entstehen ein Viertel der deutschen CO2-Emissionen beim Stromverbrauch.5

Bei Klimavorreitern entstehen im Stromsektor fast keine Emissionen mehr:

  • 23 gCO2/kWhel: Schweden
  • 28 gCO2/kWhel: Island
  • 33 gCO2/kWhel: Norwegen
  • 33 gCO2/kWhel: Frankreich
  • 41 gCO2/kWhel: Schweiz
  • 76 gCO2/kWhel: Finnland
  • 101 gCO2/kWhel: Portugal
  • 104 gCO2/kWhel: Albanien
  • 124 gCO2/kWhel: Dänemark
  • 124 gCO2/kWhel: Spanien
  • 124 gCO2/kWhel: Österreich
  • 153 gCO2/kWhel: Belgien
  • 164 gCO2/kWhel: Großbritannien
  • 168 gCO2/kWhel: Litauen
  • 183 gCO2/kWhel: Lettland
  • 228 gCO2/kWhel: Kroatien
  • 234 gCO2/kWhel: Slowenien
  • 240 gCO2/kWhel: Slowakei
  • 243 gCO2/kWhel: Ungarn
  • 252 gCO2/kWhel: Luxemburg
  • 263 gCO2/kWhel: Niederlande
  • 274 gCO2/kWhel: Italien
  • 292 gCO2/kWhel: Estland
  • 321 gCO2/kWhel: Rumänien
  • 326 gCO2/kWhel: Griechenland
  • 334 gCO2/kWhel: Deutschland
  • 350 gCO2/kWhel: Bulgarien
  • 397 gCO2/kWhel: Irland
  • 400 gCO2/kWhel: Montenegro
  • 419 gCO2/kWhel: Moldau
  • 425 gCO2/kWhel: Malta
  • 481 gCO2/kWhel: Tschechien
  • 482 gCO2/kWhel: Nordmazedonien
  • 511 gCO2/kWhel: Serbien
  • 703 gCO2/kWhel: Polen

Deutschland stößt rund zehn Mal so viel CO2 pro Kilowattstunde Strom aus wie Schweden, Island, Norwegen, Frankreich und Schweiz.

Nordeuropa: Wikinger sind die wahren Klimavorreiter

Deutschland ist offensichtlich kein Klimavorreiter und wird es höchstwahrscheinlich auch nie werden.

Die wahren Klimavorreiter sind die nordischen Länder Island, Schweden, Norwegen und Finnland.

Diese Länder setzen hauptsächlich auf Wasserkraft und Kernkraft im Energiemix.

Island setzt zusätzlich auf Geothermie für Wärme und Strom. Die Vulkaninsel ist weltweit mit Abstand am weitesten dekarbonisiert.

Dänemark hingegen setzt auf Windkraft und hat damit eine deutlich höhere CO2-Intensität als seine skandinavischen Nachbarn.

Leider kann Dänemark gar nicht auf Wasserkraft oder gar Geothermie setzen. Dafür fehlen die Berge und die vulkanische Aktivität.

Dänemark hätte aber Kernkraftwerke bauen können, so wie Südschweden auch. AKW sind unabhängig von Standortfaktoren und Importen.

Atomausstieg: Deutschland wollte niemals Klimavorreiter sein

Wer sich diese Listen ansieht, kommt nicht auf die Idee, dass Deutschland jemals vorne beim Klimaschutz dabei sein wollte.

Tatsächlich könnte Deutschland schon viel besser dastehen. Der Atomausstieg war eine aktive Entscheidung gegen den Klimaschutz.

Wir haben ein Vierteljahrhundert damit verschwendet, den klimafreundlichen Atomstrom bilanziell durch Windstrom und Solarstrom zu ersetzen.

Hätten wir das nicht getan, dann wären wir schon längst aus der Kohle ausgestiegen und wären in Europa ganz vorne dabei beim Klimaschutz.

~100 gCO2/kWhel wäre die CO2-Intensität des deutschen Stromverbrauchs in 2024 ohne Atomausstieg.

Diesen Wert erhält man, wenn man die ehemals 160 TWh Atomstrom im Jahr 2000 nutzt, um Kohlestrom zu ersetzen und einen Teil der Importe im Jahr 2024 zu substituieren.

Das würde uns deutlich dem Status eines Klimavorreiters näherbringen. Leider war der Atomausstieg deutlich wichtiger als der Klimaschutz.

Fazit: Deutschland ist kein Klimavorreiter

An der Spitze beim Klimaschutz steht Island, dank seiner tollen Voraussetzungen für Geothermie.

Aber auch Länder mit schlechteren Standortfaktoren wie Frankreich oder Schweden sind weit vor Deutschland.

Deutschland ist bei den CO2-Intensitäten abgeschlagen in Europa. Klimaschutz hatte bei uns noch nie Priorität.

“Having lost sight of our objectives, we redoubled our efforts.”

– Walt Kelly

Um so befremdlicher wirkt es, dass ausgerechnet Deutschland bis 2045 klimaneutral sein will, 5 Jahre vor dem Rest aller EU-Länder.

Wenn unser Netto-Null-Ziel 2045 verfehlt wird, zum Erstaunen von Niemandem, dann ist uns weiterer Spott schon mal sicher.

Quellen

  1. Greenhouse gas emissions by source sector Eurostat (2024)
  2. Statistical Review of World Energy Energy Institute (2024)
  3. Treibhausgas-Emissionen im Energiesektor geteilt durch Primärenergie nach Substitutionsmethode
  4. Statistical Review of World Energy Energy Institute (2024)
  5. Granular historical electricity data Electricitymaps (2025)

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